Stéphane Degoutin, Georg Glasze, Renaud Le Goix
Tagungsbericht: „territory, control & enclosure“
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28. Februar – 3. März 2005, Pretoria
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Paper originally published in french in
Revue Urbanisme #343 (july/august, 2005).
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Eher selten erregt eine Tagung zur Stadtforschung die Aufmerksamkeit von Presse, Radio und Fernsehen. Die Konferenz „territory, control and enclosure“ hingegen fand großes Interesse in den südafrikanischen Medien. Die Themen soziale Kontrolle, Territorialisierung und Abschottung werden in der südafrikanischen Gesellschaft auch außerhalb von Wissenschaft und Planung kontrovers diskutiert. Nicht zuletzt haben Fragen der Aneignung städtischer Räume in der Postapartheid-Gesellschaft enorme politische Bedeutung. So organisierte beispielsweise die südafrikanische Menschenrechtskommission wenige Tage nach der Konferenz eine Anhörung zu „security villages“ und „road closures“ und hat inzwischen einen Bericht vorgelegt, in dem die Abschottung von Wohnvierteln als Gefahr für die südafrikanische Gesellschaft beschrieben wird und Regierung sowie Kommunen aufgefordert werden, Alternativen zu entwickeln (http://www.sahrc.org.za/Boomgate%20Report%20Content.pdf).


Pretoria, Südafrika. Foto: Stéphane Degoutin


Von der Beschreibung zur Erklärung – Forschungsnetzwerk „gated communities/private urban governance“

Die Tagung in Pretoria steht in einer Reihe von Konferenzen, die 1999 in Hamburg begann. Es folgte ein „panel“ auf der Jahrestagung der American Association of Geography in New York 2000. Beide Treffen dienten in erster Linie der Beschreibung von Verbreitung und Charakteristika bewachter Wohnkomplexe in verschiedenen Regionen der Welt. Und sie ermöglichten die internationale Vernetzung von WissenschaftlerInnen aus Geographie, Politikwissenschaft, Stadtplanung, Regionalökonomie, Stadtsoziologie und Ethnologie. Die erste große Konferenz dieses informellen Netzwerks fand im Sommer 2002 in Mainz statt – hier wurden bereits fortgeschrittene Forschungsprojekte vorgestellt und es kam zu einem fruchtbaren Austausch unterschiedlicher theoretisch-konzeptioneller und normativer Perspektiven. Eine wesentliche Erkenntnis der Mainzer Tagung war, dass es in organisatorischer, finanzieller, sozialräumlicher und politischer Hinsicht viele Parallelen zwischen bewachten Wohnkomplexen, privat verwalteten aber nicht bewachten Wohnkomplexen sowie weiteren privat bzw. in „public private partnership“ organisierten Stadträumen gibt. In der Konsequenz führt das Forschungsnetzwerk seitdem den Doppelnamen „gated communities/private urban governance“.
Bereits 2003 folgte eine Nachfolgetagung „Gated Communities: Building Social Division or Safer Communities?“ in Glasgow, bei der u.a. die Ergebnisse einer größeren Studie zur Verbreitung von bewachten Wohnkomplexen in Großbritannien vorgestellt wurde. Ein Treffen in New Orleans im Frühjahr 2004 diente noch einmal der Gegenüberstellung von Forschungen in den USA mit regionalen Fallstudien zu bewachten Wohnkomplexen in verschiedenen Regionen der Welt.

„Territory, control and enclosure“ – Zielsetzung und Ablauf der Tagung

Zielsetzung der Tagung in Pretoria war zum einen, den internationalen und pluridisziplinären Austausch über (neue) Formen der „private urban governance“ fortzuführen und zum zweiten diese Diskussion stärker rückzubinden an die Forschungen zu sozialer Kontrolle und Territorialität. Mit einem Workshop für südafrikanische Stadtplaner und Kommunalpolitiker sowie einer eintägigen Stadtexkursion lag zudem ein Schwerpunkt auf der aktuellen Stadtentwicklung in Südafrika. Ein Schwerpunkt, der sich als Herausforderung und Bereicherung für die Diskussionen erwies. Es zeigte sich, dass die wohlhabenden Viertel der Metropolregionen Südafrikas im internationalen Vergleich extrem stark von Sicherheitsdispositiven bestimmt werden – Stacheldraht, Elektrozaun und Schlagbäume prägen das Siedlungsbild. Beeindruckt waren die Teilnehmer beispielsweise von der Präsentation einer durch moderne Technik gesicherte Einfahrt in ein Stadtviertel. Selbstbewusst und überzeugt von der technischen Leistungsfähigkeit zeigte der Vertreter eines Sicherheitsunternehmens dabei ein System, dass gleichzeitig auch die Wächter überwacht, indem per Video permanent der gesamte Eingangsbereich gefilmt wird, die Autokennzeichen automatisch erfasst werden und der Diebstahl von Autos aus der Siedlung durch eine elektronische Kodierung der PKW verhindert werden soll.
Eine Besonderheit der südafrikanischen Situation stellen die so genannten „road closures“ dar: Während die „security villages“ ein von Developern konzipiertes Immobilienprodukt sind, entstehen die „road closures“ auf Initiative der Bewohner eines bestehenden Stadtviertels. In den meisten Regionen Südafrikas hat der Gesetzgeber die Möglichkeit geschaffen, dass sich in bestehenden Vierteln Eigentümergemeinschaften konstituieren, welche die Umzäunung und Überwachung „ihres“ Viertels organisieren können.
Nicht zuletzt dank einer höchst professionellen Organisation der Tagung durch Karina Landmann und ihrem Team vom CSIR wurde diese zu einem großen Erfolg. Die Teilnehmerzahl lag mit 85 in einer Größenordnung, die noch intensive Diskussionen ermöglichte. Neben langjährigen Mitgliedern kamen auch zahlreiche WissenschaftlerInnen erstmals zu einer Tagung des Netzwerks – darunter viele Südafrikaner, aber auch ForscherInnen aus Europa, den USA und Lateinamerika. Erfreulich war die große Beteiligung von NachwuchswissenschaftlerInnen, die zum einen (Zwischen-)Ergebnisse ihrer Forschungen vorstellen konnten und zudem am letzten Tag in einem „student-workshop“ die Gelegenheit hatten, theoretische Konzeption sowie methodische Umsetzung ihrer Forschungsarbeiten mit etablierten WissenschaftlerInnen und anderen NachwuchswissenschaftlerInnen zu diskutieren.
Die Anwesenheit einer Vielzahl von südafrikanischen Stadtplanern, Kommunalpolitikern sowie nicht zuletzt Vertretern der Sicherheitsbranche führte zudem dazu, dass die WissenschaftlerInnen immer wieder gezwungen waren, sich auf die Logik der „Praktiker“ einzulassen sowie die wissenschaftliche und gesellschaftliche Relevanz ihrer Arbeiten herauszustellen. Mehr als einmal wurden konzeptionelle Beiträge mit den Fragen und Einwürfen von Praktikern konfrontiert, die rasche und konkrete Lösungen suchen.


El Salvador, Peru. Foto
Jörg Plöger

Viele der Beiträge auf der Tagung lassen sich zwei großen Themenfeldern zuordnen:

1. (Un-)Sicherheit und territoriale Kontrolle
Eine Vielzahl von Beiträgen analysierte (neue) Formen städtischer governance, die auf die Schaffung von Sicherheit abzielen und diskutierte die sozialen Konsequenzen dieser Politiken. In einer polit-ökonomischen, neo-marxistischen Perspektive argumentierten mehrere Autoren, dass vor dem Hintergrund weltweit wachsender sozialer Unterschiede, die Sicherheitsdispositive in erster Linie den politischen und ökonomischen Eliten dienen. So zeigte beispielsweise der deutsche Politikwissenschaftler Volker Eick, wie gemeinnützige „nonprofit“-Organisationen im Kontext eines neoliberalen Gesellschaftsumbaus auf der lokalen Ebene nicht in der Lage sind, diese Logik aufzubrechen sondern vielmehr Teil dieses Umbaus werden: Vor dem Hintergrund von „workfare“- und Stadterneuerungsprogrammen setzen gemeinnützige Organisationen in Los Angeles und Berlin Langzeitarbeitslose zunehmend für Sicherheits- und Sauberkeitsdienstleistungen ein – Eick brachte das mit folgender Formel auf den Punkt: „poor people policing poor people“. In einer anderen epistemologischen Perspektive wiesen einige Vortragende allerdings auch darauf hin, dass (Un-)Sicherheit immer ein soziales und diskursives Konstrukt sei. So zeigte der südafrikanische Geograph Richard Ballard, wie in der Postapartheid-Gesellschaft viele weiße Südafrikaner „comfort zones“ suchen, die ihre Identität als weiße Südafrikaner stützen. War während der Apartheid das ganze Staatsterritorium der Bezugsraum für weiße Südafrikaner, so werden dies für Angehörige dieser Minderheit jetzt vielfach die bewachten und sozial homogenen Enklaven. „Sicherheit“ heißt dabei also v.a. die Erwartungssicherheit einer sozial homogenen und vertrauten Umgebung.


Ulan Bator, Mongolei. Foto Stéphanie Boufflet & Marc Brabant

2. Private contra öffentliche Siedlungsorganisation
Eine Vielzahl von Beiträgen verhandelte das Verhältnis von privater und öffentlich-rechtlicher Territorialorganisation. Dabei stellte insbesondere der amerikanische Ökonom Fred Foldvary die Effizienz der Privatwirtschaft für die Bereitstellung kollektiver Güter auf lokaler Ebene heraus und beurteilte die „lokale Demokratie“ privat verwalteter Stadträume als leistungsfähige Alternative zu einer öffentlich-rechtlichen Territorialorganisation. Der britische Regionalökonom Chris Webster verglich den Erfolg von privaten Wohnsiedlungen mit dem Boom von Pauschalurlauben: Es handelt sich jeweils um ein standardisiertes Angebotspaket für eine Klientel mit ähnlichem Lebensstil. Aus der Perspektive der Sozialraumanalyse forderten die chilenischen Stadtsoziologen Francisco Sabatini und Rodrigo Salcedo das weit verbreitete Urteil heraus, die bewachten Wohnkomplexe in Lateinamerika verschärften die Segregation. Sie zeigten für das Beispiel Santiago de Chile, dass die bewachten Wohnkomplexe vielfach in „benachteiligten Stadtquartieren“ errichtet wurden, da die Developer dort vergleichsweise preiswert Grundstücke erwerben konnten. Letztlich sinke damit die „Korngröße“ der Segregation und erhöhe sich die (funktionale) Interaktion zwischen Angehörigen unterschiedlicher sozialer Schichten. Auch der französische Stadtplaner Eric Charmes präsentierte einen Ansatz, der die gängige Beurteilung von bewachten Wohnkomplexen als „Zufluchtsort“ hinterfragt: Anhand von Beispielen aus Frankreich zeigte er, dass die Bewohner bewachter Wohnkomplexe ihren Aktionsraum nicht auf ihren Wohnkomplex einschränken, sondern vielmehr eine besonders hohe Mobilität aufweisen. Charmes beurteilte die bewachten Wohnkomplexe daher eher als „Basis“, welche die Aneignung der „fremden Räume“ außerhalb erst ermöglicht. Unabhängig von der normativen Beurteilung privat organisierter Stadträume erwies sich ein institutionenökonomischer Ansatz als hilfreich, um das Funktionieren privat organisierter Stadträume im Verhältnis zur öffentlichen Hand zu erklären. So können viele dieser Organisationen als eine Institution gelesen werden, die ermöglicht, negative Externalitäten städtischen Wachstums zu verhindern bzw. zu verdrängen: Kontrolle der Bodennutzung und damit Vermeidung unerwünschter Nutzungen, soziale Kontrolle und damit Vermeidung von Delinquenz. Die Organisatorin der Tagung, Karina Landmann, wies allerdings darauf hin, dass noch sehr wenig über die langfristigen Folgen und damit auch Kosten einer privatwirtschaftlichen Siedlungsorganisation bekannt sei und stellte letztlich die Frage der „Nachhaltigkeit“. Einen ersten Beitrag für diese noch ausstehende Debatte lieferte der französische Geograph Renaud le Goix – er konnte zeigen, dass die Immobilienpreise in älteren „gated communities“ im Großraum Los Angeles teilweise überdurchschnittlich stark gefallen sind und interpretiert dies als Hinweis darauf, dass die Kosten für die Erhaltung der gemeinschaftlichen Infrastruktur mit den Jahren zu einer hohen Belastung für die Grundeigentümer werden.

Ausblick: Publikationen und Folgekonferenz

Eine zukünftige Aufgabe für das Forschungsnetzwerk wird darin bestehen, die teilweise noch zu konstatierende einseitige Konzentration auf das Manifeste und Sichtbare weiter aufzubrechen. Viele Beiträge konzentrierten sich auf ein lokales Analyseniveau, in einigen Fällen war gar eine etwas theoriearme Beschreibung zu konstatieren, die zu tautologischen Argumentationsfolgen im Stile von „Umzäunung bewirkt Fragmentierung“ führte. Einigkeit bestand auch darin, Prozesse der sozialen Kontrolle und Territorialität noch stärker in einer historisch vergleichenden Perspektive zu analysieren. Daher soll versucht werden, auf der Folgekonferenz gezielt auch historische Arbeiten einzubeziehen. Festzuhalten ist aber, dass die unterschiedlichen fachlichen Hintergründe und epistemologischen Perspektiven zu lebhaften, vielfach sehr kontroversen und insgesamt fruchtbaren Diskussionen führten, die in den Augen der TeilnehmerInnen den Wert dieser internationalen Treffen ausmachen. Der Austausch soll auf einer Folgekonferenz im Jahr 2007 fortgeführt werden. Dazu liegen der internationalen Vorbereitungsgruppe (Blandy, Glasze, Landmann, Low, McKenzie, Webster) inzwischen erste Vorschläge aus Lissabon, Santiago de Chile und Paris vor. Vier Themenhefte mit Beiträgen aus der Konferenz sind in Vorbereitung – die Kurzfassungen aus Pretoria können über die homepage des Netzwerks abgerufen werden: www.gated-communities.de.

© Stéphane Degoutin, Georg Glasze und Renaud Le Goix 2005