Eher
selten erregt eine Tagung zur Stadtforschung die Aufmerksamkeit von Presse,
Radio und Fernsehen. Die Konferenz „territory, control and enclosure“
hingegen fand großes Interesse in den südafrikanischen Medien.
Die Themen soziale Kontrolle, Territorialisierung und Abschottung werden
in der südafrikanischen Gesellschaft auch außerhalb von Wissenschaft
und Planung kontrovers diskutiert. Nicht zuletzt haben Fragen der Aneignung
städtischer Räume in der Postapartheid-Gesellschaft enorme politische
Bedeutung. So organisierte beispielsweise die südafrikanische Menschenrechtskommission
wenige Tage nach der Konferenz eine Anhörung zu „security villages“
und „road closures“ und hat inzwischen einen Bericht vorgelegt,
in dem die Abschottung von Wohnvierteln als Gefahr für die südafrikanische
Gesellschaft beschrieben wird und Regierung sowie Kommunen aufgefordert
werden, Alternativen zu entwickeln (http://www.sahrc.org.za/Boomgate%20Report%20Content.pdf).
Pretoria, Südafrika. Foto: Stéphane Degoutin
Von der Beschreibung zur Erklärung – Forschungsnetzwerk „gated
communities/private urban governance“
Die Tagung in Pretoria
steht in einer Reihe von Konferenzen, die 1999 in Hamburg begann. Es folgte
ein „panel“ auf der Jahrestagung der American Association
of Geography in New York 2000. Beide Treffen dienten in erster Linie der
Beschreibung von Verbreitung und Charakteristika bewachter Wohnkomplexe
in verschiedenen Regionen der Welt. Und sie ermöglichten die internationale
Vernetzung von WissenschaftlerInnen aus Geographie, Politikwissenschaft,
Stadtplanung, Regionalökonomie, Stadtsoziologie und Ethnologie. Die
erste große Konferenz dieses informellen Netzwerks fand im Sommer
2002 in Mainz statt – hier wurden bereits fortgeschrittene Forschungsprojekte
vorgestellt und es kam zu einem fruchtbaren Austausch unterschiedlicher
theoretisch-konzeptioneller und normativer Perspektiven. Eine wesentliche
Erkenntnis der Mainzer Tagung war, dass es in organisatorischer, finanzieller,
sozialräumlicher und politischer Hinsicht viele Parallelen zwischen
bewachten Wohnkomplexen, privat verwalteten aber nicht bewachten Wohnkomplexen
sowie weiteren privat bzw. in „public private partnership“
organisierten Stadträumen gibt. In der Konsequenz führt das
Forschungsnetzwerk seitdem den Doppelnamen „gated communities/private
urban governance“.
Bereits 2003 folgte eine Nachfolgetagung „Gated Communities: Building
Social Division or Safer Communities?“ in Glasgow, bei der u.a.
die Ergebnisse einer größeren Studie zur Verbreitung von bewachten
Wohnkomplexen in Großbritannien vorgestellt wurde. Ein Treffen in
New Orleans im Frühjahr 2004 diente noch einmal der Gegenüberstellung
von Forschungen in den USA mit regionalen Fallstudien zu bewachten Wohnkomplexen
in verschiedenen Regionen der Welt.
„Territory, control and enclosure“ – Zielsetzung und Ablauf der Tagung
Zielsetzung der Tagung
in Pretoria war zum einen, den internationalen und pluridisziplinären
Austausch über (neue) Formen der „private urban governance“
fortzuführen und zum zweiten diese Diskussion stärker rückzubinden
an die Forschungen zu sozialer Kontrolle und Territorialität. Mit
einem Workshop für südafrikanische Stadtplaner und Kommunalpolitiker
sowie einer eintägigen Stadtexkursion lag zudem ein Schwerpunkt auf
der aktuellen Stadtentwicklung in Südafrika. Ein Schwerpunkt, der
sich als Herausforderung und Bereicherung für die Diskussionen erwies.
Es zeigte sich, dass die wohlhabenden Viertel der Metropolregionen Südafrikas
im internationalen Vergleich extrem stark von Sicherheitsdispositiven
bestimmt werden – Stacheldraht, Elektrozaun und Schlagbäume
prägen das Siedlungsbild. Beeindruckt waren die Teilnehmer beispielsweise
von der Präsentation einer durch moderne Technik gesicherte Einfahrt
in ein Stadtviertel. Selbstbewusst und überzeugt von der technischen
Leistungsfähigkeit zeigte der Vertreter eines Sicherheitsunternehmens
dabei ein System, dass gleichzeitig auch die Wächter überwacht,
indem per Video permanent der gesamte Eingangsbereich gefilmt wird, die
Autokennzeichen automatisch erfasst werden und der Diebstahl von Autos
aus der Siedlung durch eine elektronische Kodierung der PKW verhindert
werden soll.
Eine Besonderheit der südafrikanischen Situation stellen die so genannten
„road closures“ dar: Während die „security villages“
ein von Developern konzipiertes Immobilienprodukt sind, entstehen die
„road closures“ auf Initiative der Bewohner eines bestehenden
Stadtviertels. In den meisten Regionen Südafrikas hat der Gesetzgeber
die Möglichkeit geschaffen, dass sich in bestehenden Vierteln Eigentümergemeinschaften
konstituieren, welche die Umzäunung und Überwachung „ihres“
Viertels organisieren können.
Nicht zuletzt dank einer höchst professionellen Organisation der
Tagung durch Karina Landmann und ihrem Team vom CSIR wurde diese zu einem
großen Erfolg. Die Teilnehmerzahl lag mit 85 in einer Größenordnung,
die noch intensive Diskussionen ermöglichte. Neben langjährigen
Mitgliedern kamen auch zahlreiche WissenschaftlerInnen erstmals zu einer
Tagung des Netzwerks – darunter viele Südafrikaner, aber auch
ForscherInnen aus Europa, den USA und Lateinamerika. Erfreulich war die
große Beteiligung von NachwuchswissenschaftlerInnen, die zum einen
(Zwischen-)Ergebnisse ihrer Forschungen vorstellen konnten und zudem am
letzten Tag in einem „student-workshop“ die Gelegenheit hatten,
theoretische Konzeption sowie methodische Umsetzung ihrer Forschungsarbeiten
mit etablierten WissenschaftlerInnen und anderen NachwuchswissenschaftlerInnen
zu diskutieren.
Die Anwesenheit einer Vielzahl von südafrikanischen Stadtplanern,
Kommunalpolitikern sowie nicht zuletzt Vertretern der Sicherheitsbranche
führte zudem dazu, dass die WissenschaftlerInnen immer wieder gezwungen
waren, sich auf die Logik der „Praktiker“ einzulassen sowie
die wissenschaftliche und gesellschaftliche Relevanz ihrer Arbeiten herauszustellen.
Mehr als einmal wurden konzeptionelle Beiträge mit den Fragen und
Einwürfen von Praktikern konfrontiert, die rasche und konkrete Lösungen
suchen.
El Salvador, Peru. Foto Jörg
Plöger
Viele der Beiträge
auf der Tagung lassen sich zwei großen Themenfeldern zuordnen:
1. (Un-)Sicherheit
und territoriale Kontrolle
Eine Vielzahl von Beiträgen analysierte (neue) Formen städtischer
governance, die auf die Schaffung von Sicherheit abzielen und diskutierte
die sozialen Konsequenzen dieser Politiken. In einer polit-ökonomischen,
neo-marxistischen Perspektive argumentierten mehrere Autoren, dass vor
dem Hintergrund weltweit wachsender sozialer Unterschiede, die Sicherheitsdispositive
in erster Linie den politischen und ökonomischen Eliten dienen. So
zeigte beispielsweise der deutsche Politikwissenschaftler Volker Eick,
wie gemeinnützige „nonprofit“-Organisationen im Kontext
eines neoliberalen Gesellschaftsumbaus auf der lokalen Ebene nicht in
der Lage sind, diese Logik aufzubrechen sondern vielmehr Teil dieses Umbaus
werden: Vor dem Hintergrund von „workfare“- und Stadterneuerungsprogrammen
setzen gemeinnützige Organisationen in Los Angeles und Berlin Langzeitarbeitslose
zunehmend für Sicherheits- und Sauberkeitsdienstleistungen ein –
Eick brachte das mit folgender Formel auf den Punkt: „poor people
policing poor people“. In einer anderen epistemologischen Perspektive
wiesen einige Vortragende allerdings auch darauf hin, dass (Un-)Sicherheit
immer ein soziales und diskursives Konstrukt sei. So zeigte der südafrikanische
Geograph Richard Ballard, wie in der Postapartheid-Gesellschaft viele
weiße Südafrikaner „comfort zones“ suchen, die
ihre Identität als weiße Südafrikaner stützen. War
während der Apartheid das ganze Staatsterritorium der Bezugsraum
für weiße Südafrikaner, so werden dies für Angehörige
dieser Minderheit jetzt vielfach die bewachten und sozial homogenen Enklaven.
„Sicherheit“ heißt dabei also v.a. die Erwartungssicherheit
einer sozial homogenen und vertrauten Umgebung.
Ulan Bator, Mongolei.
Foto Stéphanie Boufflet & Marc Brabant
2. Private
contra öffentliche Siedlungsorganisation
Eine Vielzahl von Beiträgen verhandelte das Verhältnis von privater
und öffentlich-rechtlicher Territorialorganisation. Dabei stellte
insbesondere der amerikanische Ökonom Fred Foldvary die Effizienz
der Privatwirtschaft für die Bereitstellung kollektiver Güter
auf lokaler Ebene heraus und beurteilte die „lokale Demokratie“
privat verwalteter Stadträume als leistungsfähige Alternative
zu einer öffentlich-rechtlichen Territorialorganisation. Der britische
Regionalökonom Chris Webster verglich den Erfolg von privaten Wohnsiedlungen
mit dem Boom von Pauschalurlauben: Es handelt sich jeweils um ein standardisiertes
Angebotspaket für eine Klientel mit ähnlichem Lebensstil. Aus
der Perspektive der Sozialraumanalyse forderten die chilenischen Stadtsoziologen
Francisco Sabatini und Rodrigo Salcedo das weit verbreitete Urteil heraus,
die bewachten Wohnkomplexe in Lateinamerika verschärften die Segregation.
Sie zeigten für das Beispiel Santiago de Chile, dass die bewachten
Wohnkomplexe vielfach in „benachteiligten Stadtquartieren“
errichtet wurden, da die Developer dort vergleichsweise preiswert Grundstücke
erwerben konnten. Letztlich sinke damit die „Korngröße“
der Segregation und erhöhe sich die (funktionale) Interaktion zwischen
Angehörigen unterschiedlicher sozialer Schichten. Auch der französische
Stadtplaner Eric Charmes präsentierte einen Ansatz, der die gängige
Beurteilung von bewachten Wohnkomplexen als „Zufluchtsort“
hinterfragt: Anhand von Beispielen aus Frankreich zeigte er, dass die
Bewohner bewachter Wohnkomplexe ihren Aktionsraum nicht auf ihren Wohnkomplex
einschränken, sondern vielmehr eine besonders hohe Mobilität
aufweisen. Charmes beurteilte die bewachten Wohnkomplexe daher eher als
„Basis“, welche die Aneignung der „fremden Räume“
außerhalb erst ermöglicht. Unabhängig von der normativen
Beurteilung privat organisierter Stadträume erwies sich ein institutionenökonomischer
Ansatz als hilfreich, um das Funktionieren privat organisierter Stadträume
im Verhältnis zur öffentlichen Hand zu erklären. So können
viele dieser Organisationen als eine Institution gelesen werden, die ermöglicht,
negative Externalitäten städtischen Wachstums zu verhindern
bzw. zu verdrängen: Kontrolle der Bodennutzung und damit Vermeidung
unerwünschter Nutzungen, soziale Kontrolle und damit Vermeidung von
Delinquenz. Die Organisatorin der Tagung, Karina Landmann, wies allerdings
darauf hin, dass noch sehr wenig über die langfristigen Folgen und
damit auch Kosten einer privatwirtschaftlichen Siedlungsorganisation bekannt
sei und stellte letztlich die Frage der „Nachhaltigkeit“.
Einen ersten Beitrag für diese noch ausstehende Debatte lieferte
der französische Geograph Renaud le Goix – er konnte zeigen,
dass die Immobilienpreise in älteren „gated communities“
im Großraum Los Angeles teilweise überdurchschnittlich stark
gefallen sind und interpretiert dies als Hinweis darauf, dass die Kosten
für die Erhaltung der gemeinschaftlichen Infrastruktur mit den Jahren
zu einer hohen Belastung für die Grundeigentümer werden.
Ausblick:
Publikationen und Folgekonferenz
Eine zukünftige
Aufgabe für das Forschungsnetzwerk wird darin bestehen, die teilweise
noch zu konstatierende einseitige Konzentration auf das Manifeste und
Sichtbare weiter aufzubrechen. Viele Beiträge konzentrierten sich
auf ein lokales Analyseniveau, in einigen Fällen war gar eine etwas
theoriearme Beschreibung zu konstatieren, die zu tautologischen Argumentationsfolgen
im Stile von „Umzäunung bewirkt Fragmentierung“ führte.
Einigkeit bestand auch darin, Prozesse der sozialen Kontrolle und Territorialität
noch stärker in einer historisch vergleichenden Perspektive zu analysieren.
Daher soll versucht werden, auf der Folgekonferenz gezielt auch historische
Arbeiten einzubeziehen. Festzuhalten ist aber, dass die unterschiedlichen
fachlichen Hintergründe und epistemologischen Perspektiven zu lebhaften,
vielfach sehr kontroversen und insgesamt fruchtbaren Diskussionen führten,
die in den Augen der TeilnehmerInnen den Wert dieser internationalen Treffen
ausmachen. Der Austausch soll auf einer Folgekonferenz im Jahr 2007 fortgeführt
werden. Dazu liegen der internationalen Vorbereitungsgruppe (Blandy, Glasze,
Landmann, Low, McKenzie, Webster) inzwischen erste Vorschläge aus
Lissabon, Santiago de Chile und Paris vor. Vier Themenhefte mit Beiträgen
aus der Konferenz sind in Vorbereitung – die Kurzfassungen aus Pretoria
können über die homepage des Netzwerks abgerufen werden: www.gated-communities.de.
©
Stéphane Degoutin, Georg Glasze und Renaud Le Goix 2005
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